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Kampagne 2023

Ziel der Untersuchungen des Jahres 2023 war es, die Erforschung des römischen Stadtzentrums im Südosten des antiken Stadtgebiets fortzusetzen. Möglich waren die Arbeiten dank der Unterstützung durch die Universität Münster, die Gerda Henkel Stiftung, die Universität Pisa und den Historisch-Archäologische Freundeskreis Münster e. V.

Die Arbeiten im Bereich des römischen Tempels

2021 waren westlich einer römischen Thermenanlage im Stadtzentrum von Doliche Ausschnitte eines monumenta-len Tempels der römischen Kaiserzeit entdeckt worden, dessen Erforschung 2022 fortgesetzt wurde. Es handelt sich um die bislang überraschendste Entdeckung in Stadtzentrum von Doliche. Der Tempel zeichnet sich nicht nur durch seine Größe, sondern auch durch die ungewöhnliche Architektur aus, vor allem durch eine große Apsis im Westen der Cella. Leider wurde der Tempel nach seiner Zerstörung fast vollständig abgebaut, so dass in den meisten Bereichen nur noch die Fundamentgräben zu erkennen sind. Trotzdem werden die Ausgrabungen es erlauben, diesen für die Kenntnis der Entwicklung römischer Architektur in Südostanatolien wichtigen Bau weitgehend zu rekonstruieren.

Im Sommer 2023 sind im Bereich des Tempels fünf Grabungsschnitte angelegt worden, um seine Ausdehnung und Ausstattung besser zu verstehen. Bei der weiteren Freilegung des südlichen Seitenschiffes des Tempels in diesem Jahr zeigte sich, dass unterhalb mächtiger Schuttschichten der Mosaikboden des Seitenschiffs, dessen westliches Ende bereits im vergangenen Jahr freigelegt wurde, auf einer Länge von 6 m noch gut erhalten ist. Von der südlichen Cellamauer sind dagegen keine Reste auffindbar, lediglich ein in den Felsen geschlagener 1,5 m breiter Fundamentgraben zeigt ihren Verlauf an. Das gleiche gilt für die innere Säulenstellung, die das Seitenschiff vom Mittelschiff trennte. Hier ist ebenfalls nur der leere Fundamentgraben erhalten, an dessen Boden die Abdrücke der verlorenen Quader zu erkennen sind. Gleichwohl belegt der Fundamentgraben zweifelsfrei, dass es eine innere Säulenstellung gab.  

Zudem wurden weitere Schnitte wurden angelegt, um die Südostecke des Tempels zu untersuchen. Unterhalb von Schuttschichten zeigte sich eine größere, mit Quadern ausgelegte Fläche, die zum Fundament einer Terrasse gehört, auf dem die Südwestecke des Tempels stand. Der Bau einer solchen Terrasse war notwendig, weil in diesem Bereich das Gelände nach Süden abfiel und daher eine künstliche Plattform geschaffen werden musste. Von den Fundamenten der Terrasse lässt sich in der Nordwestecke das östliche Ende des Fundamentes der Cellamauer bzw. der Ante in der Verlängerung der Cellamauer gut erkennen. Es ist aus größeren und einheitlichen Quadern errichtet. Insgesamt betrug die Länge der Cellamauer mit Ante damit 55 m. Nach Osten schließt sich eine von Norden nach Süden laufende Bettung aus handgroßen Steinen und Mörtel an, die offensichtlich als Unterlage für ein Fundament aus Kalksteinquadern diente. Dieses muss die Säulenstellung an der Frontseite des Tempels getragen haben. Reste einer Pflasterung aus hartem Kalkstein, in die eine flache Abwasserrinne eingearbeitet ist, zeigen das antike Bodenniveau aus der Nutzungszeit des Tempels an.

Auch die Nordwestecke des Tempels, die im Vorjahr teilweise freigelegt wurde, wurde untersucht. Zentraler Befund ist ein rechteckiger Raum, der älter als der Tempel ist und aus verklammerten Spiegelquadern errichtet wurde. Seine Funktion bleibt unklar, zumal kein klar definierter Fußboden erhalten ist. Beim Bau des Tempels wurden die Südostecke und die Südmauer des Raumes zerstört, während die Sockel der übrigen Mauern teilweise stehen blieben. Das Innere wurde verfüllt, um das Gelände anzuheben. Dabei sind große Mengen von Keramikmaterial aus der späthellenistischen Zeit bis ins 2. Jh. n. Chr. eingebracht worden, zudem viele Knochen.

Östlich dieses Raums und nördlich der Cellamauer ist der Felsen von Norden nach Süden senkrecht abgearbeitet. Die dabei entstandene Stufe markiert wohl den Beginn des Fundamentgrabens für die nördliche äußere Säulenstellung des Tempels.

Ein weiteres Ziel war es, die Fundamente der südlichen inneren Säulenstellung des Tempels zu finden. Zudem sollten zwei in diesem Bereich sichtbare Zisternenöffnungen vollständig freigelegt werden. Zwar förderten die Ausgrabungen keine Baubefunde zutage, allerdings geben Abarbeitungen des anstehenden Felsens Hinweise auf die Gestaltung des Areals in der Antike, die den Verlauf der südlichen inneren Säulenstellung erkennen lassen. Um diese zu tragen, wurde im Südwesten des Schnittes die Felsoberfläche sorgfältig geglättet. Nach Osten hin ist der Fels jedoch so porös und weich, dass er nicht geeignet war, schwere Lasten zu tragen. Daher war es hier notwendig, ein Fundament zu bauen, wozu ein 2 m tiefer Graben in den Felsen geschlagen wurde. Die Quader, die diesen Fundamentgraben füllten, wurden vollständig ausgeraubt. Nördlich des Fundamentgrabens ist die Felsoberfläche nur grob geebnet. Hier konnte eine Zisterne, deren Decke eingestürzt ist, bis in eine Tiefe von 1,5 m ausgenommen werden. Weiter nördlich schließt sich eine weitere Zisterne an, deren Mündung mit einem Kranz aus Bruchsteinen eingefasst ist. Alle Zisternen waren vollständig verfüllt. Münzfunde lassen vermuten, dass die Zisternen in mamlukischer Zeit angelegt wurden, als die Stadt bereits vollständig verlassen war.

Arbeiten im Dolichener Stadtarchiv

Während der Grabungen im Zentrum der antiken Stadt Doliche waren in den Jahren 2017 und 2019 die aus mächtigen Quadern gelegten Fundamente eines Raums ausgegraben worden, der sich aufgrund des Fundes von ca. 4.000 Siegelabdrücken als Teil des Stadtarchivs von Doliche identifizieren ließ. Offen blieb allerdings, welche Dimensionen der Raum hat und ob er in einen größeren Gebäudekomplex eingebun-den war. Um diese Fragen zu klären, wurden 2023 weitere Grabungen durchgeführt. Das Ziel war es, den gesamten Raum freizulegen und seinen städtebaulichen Kontext zu erforschen. Dabei sollte auch untersucht werden, wie der Bereich zwischen dem Archivbau und der sich westlich anschließenden Thermenanlage gestaltet war. Zu diesem Zweck wurden insgesamt vier Schnitte angelegt, die sich jeweils unmittelbar an die 2017 und 2019 ausgegrabenen Bereiche anschließen. Insgesamt konnte eine Fläche von 103 qm untersucht werden.

Die Grabungen zeigten, dass der bereits bekannte Archivraum Teil eines langrechteckigen, nord-südorientierten Archivtrakts ist, der durch Zungenmauern in mindestens drei Raumeinheiten unterteilt wird. Der Trakt ist im Inneren 7 m breit und kann bislang auf einer Länge von 11,4 m nach Süden verfolgt werden. Die Zungenmauern sind jeweils 2 m lang, sie bilden also 3 m breite Durchgänge zwischen den Räumen. Bei allen freigelegten Mauern handelt es sich um Reste von Fundamenten. Vom Fußboden oder vom aufgehenden Mauerwerk ist nichts mehr erhalten. Aus der Verfüllung der Räume konnten jedoch insgesamt weitere 2.000 Siegelabdrücke geborgen werden. Dazu war ein aufwändiges Feuchtsieben des gesamten Abraums notwendig, da die sehr kleinen Siegelabdrücke (0,5–2 cm), die zudem oft fragmentiert sind, ansonsten nicht mit bloßem Auge zu erkennen sind. Die Siegelabdrücke belegen eindeutig, dass hier Dokumente aufbewahrt wurden, die auf Papyrus und Pergament geschrieben waren. Diese Dokumente hatte man mit Schnüren verschlossen, um die kleine Tonklumpen gelegt wurden, in die man Siegelringe eindrückte, um die Schriftstücke zu versiegeln. Nur wenn das Archiv durch ein schweres Feuer vernichtet wird, erhalten sich diese Siegelabdrücke, wohingegen die Dokumente selbst verbrennen.

Ein Großteil der Abdrücke geht auf offizielle Siegel zurück, d. h. Siegel städtischer Beamter oder Institutionen. Diese zeichnen sich durch ihre besondere Größe aus, zudem zeigen sie Bilder, die eng mit Doliche verknüpft sind, zum Beispiel die Hauptgötter der Stadt. Sie unterscheiden sich von Privatsiegeln vor allem aber dadurch, dass sie in zahlreichen Abdrücken vorliegen. Vom Siegel mit der Stadtgöttin, der Tyche von Doliche, konnten z. B. mehr als 30 Exemplare identifiziert werden.

Die Grabungen haben zudem zeigen können, dass der Archivtrakt Teil eines größeren Bauensembles war. Getrennt durch einen nur 1,4 m breiten Zwischenraum ist parallel zur Nordmauer des Archivs ein in den Felsen geschlagener, teilweise noch mit Quadern gefüllter Graben erhalten, der als Fundament für eine weitere Mauer diente. Dass beide Mauern zum selben Gebäude-komplex gehören, beweisen Abarbeitungen im Felsen, die zeigen, dass die Ostmauer des Archivtrakts sich über den Abschluss des Raums hinaus nach Norden fort-setzte und an die zweite Mauer an-schloss. Unklar bleibt, welche Funktion diese zweite Mauer hatte. Sie muss zu einem oder mehreren Räumen gehört haben, die nördlich des Archivtrakts lagen. Sie wurden aber wohl nicht zum Aufbewahren von Dokumenten genutzt, da bei früheren Grabungen in diesem Bereich keine Siegelabdrücke gefunden wurden. Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass der gesamte Baukomplex eine öffentliche Funktion hatte.

Eine weitere wichtige Erkenntnis der Grabungen ist zudem, dass sich der Archivtrakt im Westen unmittelbar an die Badeanlage anschloss. In der Südwestecke wurde die Ecke eines Raumes erfasst, dessen Boden mit quadratischen Ziegeln bedeckt ist. Dieser gehört zweifelsfrei zu einem Hypokaustum und ist demnach noch der Badeanlage zuzuweisen. Die Mörtelbettung des Ziegelbodens liegt auf einer Plattform aus Quaderblöcken, die große Teile des Schnitts bedeckt und auch als Fundament für die westliche Außenmauer des Archivs genutzt wurde. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass Badeanlage und Archiv in einem Zuge errichtet wurden. Alternativ könnte man vermuten, dass der Bau der Badeanlage einen Umbau von Teilen des administrativen Baukomplexes notwendig machte. 

Resümee und Perspektiven

2023 sind wichtige neue Erkenntnisse über die Entwicklung Doliches in der römischen Kaiserzeit gewonnen worden. Die Arbeiten im Tempel haben bestätigt, dass es sich um einen der größten Sakralbauten Südostanatoliens handelt. Die Gesamtbreite der Cella beträgt 25,5 m, inklusive einer äußeren Säulenstellung war der Bau ca. 35 m breit. Die Länge des Tempels konnte nun ebenfalls sicher ermittelt werden, sie beträgt ca. 58 m. Die Untersuchung der Höhenniveaus hat ergeben, dass der Tempel im Westen, wo sich der Eingang befand, auf einem mindestens 1,70 m hohen Podium stand, das über eine zentrale Freitreppe erreicht werden konnte, die aber archäologisch noch nicht nachgewiesen ist. Für die Kenntnis der sakralen Architektur der römischen Zeit ist der Befund von größter Bedeutung, zumal bislang keine innerstädtischen Heiligtümer aus Städten Nordsyriens archäologisch erforscht werden konnten. Der Dolichener Tempel zeigt, dass in diesen Städten monumentale Kultbauten, wie sie bislang vor allem aus Palmyra und den Städten Südsyriens bekannt sind, existierten. Angesichts der Bedeutung der Städte Nordsyriens in der Antike ist das keine überraschende Erkenntnis, sie kann nun jedoch erstmals auch archäologisch verifiziert werden. Die Bauornamentik zeigt, dass der Tempel in antoninischer Zeit, also um die Mitte des 2. Jh. n. Chr. errichtet wurde. Nach wie vor kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wem der Tempel geweiht war, die Größe des Baus und die Apsis lassen aber vermuten, dass es sich um einen Tempel des Kaiserkultes handelt.

Die Arbeiten dieses Jahres haben auch zu einem besseren Verständnis des Dolichener Archivs beigetragen. Es zeichnet sich klar ab, dass es sich bei dem Archiv um eine Abfolge mehrerer miteinander durch breite Durchgänge verbundener Räume handelt. Zudem zeichnet sich ab, dass der Dolichener Archivtrakt in einen größeren Gebäudekomplex eingebunden war, dessen Ausdehnung noch nicht abzusehen ist. Es darf vermutet werden, dass es sich um einen Bau handelt, der verschiedene städtische Institutionen beherbergte. Die Bedeutung des Dolichener Archivs kann trotz der schlechten Erhaltung der Bausubstanz nicht hoch genug eingeschätzt werden. Obwohl alle Städte der Antike über Archive verfügten, sind nur sehr wenige archäologisch nachgewiesen. Neben dem Dolichener Bau ist nur eine Handvoll weiterer städtischer Archive bekannt.

Sowohl der Tempel als auch das Archiv wurden im Jahr 253 zerstört, als die Perser die Stadt eroberten. Danach wurde was Stadtzentrum verlassen und als Steinbruch genutzt. Lediglich im Westen des Tempels lassen sich spätere Nutzungsphasen erkennen. Für 2024 ist geplant, die Grabungen im Tempel und im Archiv fortzusetzen. Die Grabungsflächen im Süden und Norden des Tempels sollen dabei verbunden werden, um die gesamte Apsis vollständig freizulegen. Zudem soll der westliche Abschluss des Tempels weiter untersucht werden, um die Gestaltung des Zugangs und die Stellung der Säulen der Front besser zu verstehen.