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Kampagne 2024

Fortschritte in Doliche: Die Grabungsarbeiten 2024

Vom 29.07.2024 bis zum 15.09.2024 fanden auch in diesem Jahr wieder Grabungen in Doliche in der Südosttürkei statt. Ziel der Arbeiten war es zum einen, die Erforschung des römischen Stadtzentrums im Südosten des antiken Stadtgebiets fortzusetzen. Dabei stand vor allem die Untersuchung des monumentalen Tempels aus dem 2. Jh. n. Chr. und des Stadtarchivs im Mittelpunkt. Zum anderen wurden die Arbeiten im Bereich der Hangkirche von Doliche, einer frühchristlichen Basilika aus dem 4. Jh. n. Chr., fortgesetzt. Insgesamt haben wir 12 Grabungsschnitte mit einer Fläche von insgesamt 285 m2 untersucht. Parallel dazu sind tausende von Funden bearbeitet worden. 39 Studierende und SpezialistInnen sowie 21 türkische Hilfskräfte waren daran beteiligt.

Möglich war dies dank der Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Carl Humann-Stiftung, die Universität Pisa, die Universität Münster und nicht zuletzt auch dank des Historisch-Archäologischen Freundeskreises, der die Arbeiten mit 4.000 Euro unterstützt hat. Die Förderung durch den Freundeskreis ist von besonderer Bedeutung, weil sie es ermöglicht, die Infrastruktur und Ausrüstung des Projektes zu stärken und es zukunftsfähig zu machen. Dafür möchte ich mich herzlich bei Ihnen bedanken.

1. Die Arbeiten im Bereich des römischen Tempels

Im Jahr 2021 waren westlich der Thermenanlage im Stadtzentrum von Doliche Teile eines monumentalen Tempels aus der römischen Kaiserzeit entdeckt worden, dessen Erforschung sich in den Jahren 2022 und 2023 fortsetzte. Es handelt sich um eine der bedeutendsten Entdeckungen in Doliche. Der Tempel zeichnet sich nicht nur durch seine Größe, sondern auch durch seine ungewöhnliche Architektur aus, insbesondere durch eine große Apsis im Westen der Cella. Leider wurde der Bau nach seiner Zerstörung fast vollständig abgetragen, so dass in den meisten Bereichen nur noch die Fundamentgräben zu erkennen sind. Dennoch ist es nach Abschluss der diesjährigen Arbeiten möglich, den Tempel weitgehend zu rekonstruieren. Im Fokus stand die Untersuchung der westlichen Apsis, der südöstlichen Ecke sowie der Front des Baus.

Freilegung der westlichen Apsis

Mit der Ausgrabung des westlichen Teils der Apsis, die den Tempel nach Westen abschloss, ist nun die Westseite des Gebäudes ausgegraben. In dem neuen Schnitt wurde die Felskante freigelegt, die auch als Rückwand des Tempels diente. Sie ist leicht geschwungen und nimmt damit die Krümmung der Apsis auf. Überraschenderweise sind auch noch zwei schmale Quader erhalten, die auf der Felskante stehen und zum aufgehenden Abschnitt der Rückwand gehören.

Der Innenbereich der Apsis war durch großflächige Raubgrabungen dagegen nahezu vollständig zerstört. Vom originalen Fußboden der Apsis sind keine Spuren sichtbar. Die Freilegung einer mittelalterlichen Mauer, die die Apsis in zwei Hälften teilte, lieferte jedoch wichtige Hinweise auf eine spätere Nachnutzung. Auch eine wiederverwendete Säulenbasis auf einem Postament deutet darauf hin, dass die Apsis im Mittelalter eine neue Funktion erhielt.

Interessant war ein fundreicher Bereich hinter der Apsis. Hier, knapp unter der Oberfläche, konnten große Mengen späthellenistischer und frühkaiserzeitlicher Keramik geborgen werden. Diese Funde stehen in Verbindung mit den Überresten eines älteren Gebäudes, das offenbar beim Bau des Tempels zerstört wurde. Solche Entdeckungen eröffnen neue Perspektiven auf die Entwicklung des Stadtzentrums von Doliche.

Die südöstliche Ecke und die Tempelfront

Um den Grundriss des Tempels rekonstruieren zu können, konzentrierten sich die Arbeiten vor allem auf die südöstliche Ecke sowie die Tempelfront. Dabei ist es gelungen, die Fundamente sowohl der Südostecke der Cellamauer als auch der umlaufenden Säulenstellung archäologisch nachzuweisen. Zwar sind in der Regel nur die untersten Lagen der Fundamente erhalten, sie lassen jedoch genaue Rückschlüsse auf die Gestaltung des Tempels zu. Wichtige Hinweise gab es zudem auf den Aufbau der Vorderseite des Tempels. Das Fundament der Tempelfront ist 9,2 m breit und gliedert sich in drei Streifen. Der westliche besteht aus Kalksteinquadern und trug die Cellamauer, während der Unterbau des mittleren Streifens aus opus caementitium errichtet war. Daran schließt sich ein weiteres Fundament aus Kalksteinquadern ab. Die beiden östlichen Streifen deuten darauf hin, dass die Tempelfront mit zwei Säulen-Reihen gestaltet war.

Wichtig war zudem die Entdeckung der kaiserzeitlichen Pflasterung des Platzes unmittelbar vor dem Tempel. Dort sind sorgfältig verlegte polygonale Kalksteinplatten mit einer Entwässerungsrinne erhalten. Aus dem Bodenniveau des Platzes lässt sich schließen, dass das Podium des Tempels 3,6 m hoch gewesen sein muss.

Münzen aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., die oberhalb der Pflasterung gefunden wurden, zeigen, dass die Ruine des Tempels bereits in dieser Zeit weitgehend abgebaut war.

Die Rekonstruktion des Tempels

Die Arbeiten des Jahres 2024 ermöglichen eine vorläufige Rekonstruktion des apsidalen Tempels im Stadtzentrum von Doliche. Dafür ist vor allem der Bauforscherin Theresa Pommer von der TU Braunschweig zu danken, die den Tempel im Rahmen einer Doktorarbeit behandelt.

Die Cella, etwa 25 m und 41 m lang breit, war durch zwei Säulenreihen in ein Mittelschiff (15,6 m) und zwei schmalere Seitenschiffe (je 4,9 m) unterteilt. Unterschiede in der Bodengestaltung betonten die Hierarchie der Räume. Das Mittelschiff war vermutlich mit Marmorplatten belegt, während die Seitenschiffe mit Mosaiken dekoriert waren. Die Apsis (14 m breit, 5 m tief) war durch eine Halbkuppel aus Zement überdacht. Dort standen die Kultbilder. Der Bereich durfte nur von Priestern betreten werden, wohingegen die weitläufige Cella Besuchern offenstand. Der Tempel war etwa 57 m lang und 36,5 m breit, mit einer äußeren Kolonnade und einem Podium, dessen Höhe aufgrund des unebenen Geländes an der Ostseite etwa 3,5 m betrug.

Im regionalen Kontext zeichnet sich der Tempel von Doliche durch seine Monumentalität und seinen ungewöhnlichen Aufbau aus. Mit einer Cella von 25 m x 53 m übertrifft er die Maße des Bel-Tempels in Palmyra (14 m x 39,5 m) deutlich und ist fast so groß wie der Tempel des Jupiter Heliopolitanus in Baalbek (27 m x 60 m). Besonders bemerkenswert ist die dreischiffige Cella mit einer kuppelüberwölbten Apsis im Westen, die von Nebenräumen flankiert wird – ein Grundriss, der ihn von den meisten römischen Tempeln unterscheidet.

Der Tempel gehört damit zur Gruppe von apsidalen Tempeln, wie sie aus Südsyrien bekannt sind, etwa in Burqush, Rahle oder Mismiyeh. Diese Tempel weisen eine Variation des nahöstlichen Tempeltyps mit prominentem Adyton auf, einem abgetrennten Bereich, der den Kultbildern vorbehalten war. Der Tempel von Doliche ist jedoch der erste bekannte apsidale Tempel in Nordsyrien, zudem ist er deutlich größer als alle anderen Beispiele aus Syrien. Dies lässt vermuten, dass er nicht von südsyrischen Vorbildern inspiriert wurde, sondern zeitgenössische römischen Architekturtrends aufgriff. Die Einführung der Apsis, die ab dem ersten Jahrhundert n. Chr. in römischen Tempeln als monumentaler Rahmen für Kultbilder diente, verband sich in Syrien mit dem lokalen Adyton-Konzept und erschuf damit eine neue räumliche Hierarchie.

Der Bau in Doliche spiegelt zudem römische Bautechniken wider, insbesondere die Verwendung von Zement für die Apsiskuppel. Diese Techniken unterscheiden ihn von den südsyrischen Tempeln. Hinsichtlich der Funktion des Tempels legen die architektonischen Merkmale nahe, dass er dem römischen Kaiserkult gewidmet war. Die Finanzierung eines so aufwändigen Projekts in einer vergleichsweise kleinen Stadt wie Doliche wäre mit lokalen Ressourcen kaum möglich gewesen. Es ist wahrscheinlich, dass der Kaiser das Projekt förderte, angeregt durch die Bedeutung des Jupiter Dolichenus-Kultes im 2. Jh. n. Chr.

Der Tempel wurde dann wie das gesamte Stadtzentrum im Jahr 253 n. Chr. zerstört, als die Perser die Stadt eroberten. Danach wurde das Stadtzentrum verlassen und als Steinbruch genutzt. Lediglich im Westen des Tempels lassen sich spätere Nutzungsphasen erkennen.

2. Arbeiten im Dolichener Stadtarchiv

Bislang sind im östlichen Mittelmeerraum nur drei Archivbauten der römischen Kaiserzeit archäologisch nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund ist die Gelegenheit, in Doliche ein weiteres Archiv untersuchen zu können, von großer wissenschaftlicher Relevanz. Grabungen im Bereich des Archivs sind in den Jahren 2017, 2019 und 2023 durchgeführt worden. Dabei zeigte sich der Archivraum als Teil eines nord-süd-orientierten Traktes, der durch Zungenmauern in mindestens drei Räume unterteilt wird. Aus der Verfüllung des Traktes konnten noch insgesamt 6000 Siegelabdrücke geborgen werden. Da das gesamte Erdreich aus den Schnitten unter fließendem Wasser gesiebt werden muss, um die Siegelabdrücke zu finden, kommen die Arbeiten nur sehr langsam voran.

Im Sommer 2024 wurden zwei neue Schnitte angelegt, die südlich an die im Vorjahr ausgegrabenen Bereiche anschließen. Insgesamt wurde eine Fläche von 50 m² untersucht.

Die neuen Grabungen ergaben eine Länge von mindestens 15,5 m. Die Zungenmauern sind jeweils 2 m lang, so dass die Durchgänge zwischen den Raumeinheiten 3 m breit sind. Die Abmessungen der einzelnen Raumeinheiten sind nicht einheitlich. Der nördliche Raum misst 7 m x 4 m, der mittlere 7 m x 3,35 m und der südliche 7 m x 5,20 m.

Eine wichtige neue Entdeckung ist eine Türschwelle, die in Schnitt 24-04 in der östlichen Mauer des Gebäudes in situ gefunden wurde. Sie zeigt, dass es sich bei der Mauer entgegen den bisherigen Annahmen nicht um ein Fundament, sondern bereits um aufgehendes Mauerwerk handelt. Dazu passt, dass in diesem Jahr bei Nachgrabungen festgestellt wurde, dass die Mauer auf einem tiefer liegenden Fundament aus größeren Kalksteinquadern steht. Daraus ergeben sich neue Ansätze für die Interpretation des Baubefundes. Zum einen muss es sich bei dem Stampflehmboden in der südlichen Raumeinheit um den kaiserzeitlichen Laufhorizont handeln. Da dieser aber deutlich tiefer liegt als der anstehende Fels in der nördlichen Raumeinheit, müssen die einzelnen Räume des Archivs unterschiedliche Laufniveaus gehabt haben. Interessant ist auch, dass das Laufniveau im Bereich der neu entdeckten Türschwelle fast zwei Meter unter dem Bodenniveau des angrenzenden kaiserzeitlichen Bades liegt. Man kann also davon ausgehen, dass die Bebauung des Stadtzentrums östlich des Bades terrassenförmig angelegt war, um den immer steiler werdenden Hang zu gliedern. Es ist auch anzunehmen, dass der Archivtrakt mindestens zweigeschossig war.

Nicht sicher ist, ob mit den neuen Schnitten das südliche Ende des Archivtrakts erreicht wurde. Vor dem Südprofil setzt eine nach Westen laufende Fundamentlage an die Ostmauer des Gebäudes an. Allerdings laufen die Fundamente der Ostmauer in das Südprofil, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die abbiegende Fundamentlage zu einer weiteren Zungenmauer gehört. Hier sind die Ergebnisse weiterer Grabungen abzuwarten.

Eine weitere wichtige Beobachtung ist, dass die Fundamente des Archivgebäudes im Norden in die stark verdichtete Verfüllung eines in den Felsen gegrabenen sehr großen rechteckigen Beckens gesetzt wurden. Die Funktion dieses Beckens kann gegenwärtig nicht bestimmt werden, doch muss es deutlich älter sein als der Archivtrakt und das angrenzende Bad.

Restaurierung und Dokumentation der Siegelabdrücke

Aus der Verfüllung der Räume konnten weitere 1500 Siegelabdrücke geborgen werden. Dazu war eine aufwändige Siebung des gesamten Abraums notwendig, da die sehr kleinen (0,5-2 cm) und oft fragmentierten Siegelabdrücke sonst nicht zu erkennen sind. Um die Siegelabdrücke wissenschaftlich bearbeiten zu können, müssen sie zunächst gereinigt und gefestigt werden. Anschließend werden alle Abdrücke erfasst und fotografiert. Ziel ist es, die Abdrücke zeitnah in einer Datenbank öffentlich zugänglich zu machen.

Bei einem Großteil der Abdrücke handelt es sich um Amtssiegel, d.h. um Siegel städtischer Amtsträger oder Institutionen. Diese zeichnen sich durch ihre besondere Größe aus und zeigen Bilder, die eng mit Doliche verbunden sind, z. B. die Hauptgötter der Stadt. Von den Privatsiegeln unterscheiden sie sich vor allem dadurch, dass sie in zahlreichen Abdrücken vorhanden sind. Die Privatsiegel, von denen in diesem Jahr viele gut erhaltene Exemplare geborgen werden konnten, zeigen in der Regel Motive, die in der gesamten Mittelmeerwelt verbreitet waren, vor allem Gottheiten der griechisch-römischen Welt. Besonders verbreitet sind Darstellungen der Göttin Nike. Dagegen fehlen Motive, die einen lokalen Bezug haben, fast völlig.

3. Arbeiten in der Hangkirche von Doliche

Seit 2015 bildet die Erforschung der Hangkirche von Doliche, einer frühchristlichen Basilika, die im späten 4. Jh. n. Chr. am Südhang Keber Tepe errichtet wurde, einen Schwerpunkt der Arbeiten in Doliche. Anhand der Kirche lässt sich die Entwicklung christlicher Sakralarchitektur in der Spätantike nachvollziehen. Beeindruckende Mosaikböden, zahlreiche Umbauten und Reste der Ausstattung machen sie zu einem wertvollen Zeugnis des kulturellen Erbes des antiken Nordsyrien​. Die Kirche ist eine dreischiffige Basilika und misst etwa 45 Meter in der Länge. Besonders beeindruckend sind die Mosaikböden, die in verschiedenen Phasen zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert n. Chr. verlegt wurden und den Wandel der Mosaikkunst in dieser Zeit eindrucksvoll dokumentieren. Ziel der Arbeiten dieses Jahres war es, das Mittelschiff weiter auszugraben, um das gesamte Bema – eine Plattform im Zentrum des Mittelschiffs, auf dem der Klerus während des Gottesdienstes saß – freizulegen. Dazu wurden drei aneinander angrenzende Schnitte mit einer Fläche von insgesamt 90 m2 angelegt.

Dabei ist es gelungen, den westlichen Abschluss des Bemas vollständig freizulegen. Wie zu erwarten, ist es halbrund. Insgesamt war das Bema in seiner ersten Phase 8,4 m lang und 4,7 m breit. Der Boden ist mit einem Mosaik verziert, das ein raffiniertes geometrisches Muster aufweist. Die Tesserae haben eine Kantenlänge von nur 5-6 mm und sind damit deutlich kleiner als die Tesserae in den anderen Mosaikböden der Kirche. Für das ca. 20 m2 große Mosaik wurden ca. 480.000 Mosaiksteine verwendet. Der halbrunde Abschluss des Bemas scheint dagegen nicht mosaiziert worden zu sein. Seine Gestaltung lässt sich nicht mehr feststellen, da sowohl die Einfassung als auch der Boden vollständig fehlen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dieser Bereich vollständig in Stein ausgeführt und erhöht war. Auch die seitlichen Einfassungen des Bemas, die aus Schranken bestanden haben müssen, sind bis auf die Fundamente an der östlichen Stirnseite vollständig abgetragen. Dass sich weder vom gemauerten Halbrund noch von den seitlichen Schranken Reste erhalten haben, ist auf einen Umbau zurückzuführen, bei dem das Bema vergrößert wurde. Dazu wurden neue Schranken direkt auf den Mosaikboden des Mittelschiffs gesetzt, um die Innenfläche des Bema zu vergrößern. Gleichzeitig wurde das Bema deutlich verlängert. Von dem neuen halbkreisförmigen Abschluss hat sich jedoch nur eine Mörtelspur auf dem Mosaik hinter dem ursprünglichen Bema erhalten. Wie dieses neue Bema gestaltet war, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen, aber es ist zu vermuten, dass Fragmente von Opus sectile, die in den beiden Schnitten in großer Zahl gefunden wurden, zum Boden des erweiterten Bemas gehörten.

Dort, wo die Schranken der ersten Bema-Phase fehlten, konnte der ältere Mosaikfußboden, der zur Erstausstattung der Kirche gehört, freigelegt werden. Er zeigt eine komplexe Abfolge von Mäandern und geometrischen Ornamenten, endet aber überraschenderweise mit einer geraden Kante im Westen. Daran schließt sich zunächst ein weiteres schmales Mosaikfeld an, das ebenfalls geometrische Ornamente zeigt. Darauf folgt jedoch der blanke Fels. Es scheint also, dass die Kirche in der ersten Phase nicht vollständig mit Mosaiken ausgestattet war. Die Frage, wie der Fußboden im hinteren Teil der Kirche gestaltet war, kann derzeit noch nicht beantwortet werden.   

Weiterhin konnte festgestellt werden, dass der hintere Teil des Mittelschiffs durch Schranken, die vom Bema nach Norden und Süden verliefen, vom vorderen Teil des Mittelschiffs abgetrennt war. Die Fundamente dieser Schranken sind auf beiden Seiten des Bemas erhalten.

Das Mosaik des Mittelschiffs hinter dem Bema wurde gleichzeitig mit dem Bema angelegt. Das Hauptfeld zeigt eine komplexe Abfolge aus sich kreuzenden Schilden (scuta) mit konkaven Enden. Die Ecken der Schilde berühren jeweils weitere Schildkreuze, wodurch kreis- und rautenförmige Flächen entstehen, während die Innenflächen der sich kreuzenden Schilde sechseckig sind. Die Flächen sind mit geometrischen oder abstrakten Pflanzenmotiven gefüllt. Das Muster hat eine enge Parallele im Südschiff des Martyriums von Babylon (Kaoussie), das auf das Jahr 387 n. Chr. datiert wird, also in die vermutete Bauzeit der Kirche von Doliche.

Die Grabungen im Bereich der Kirche haben nicht nur prächtige neue Mosaike ans Licht gebracht, sondern auch wichtige neue Hinweise auf ihre Entwicklung erbracht, gleichzeitig aber auch neue Fragen aufgeworfen, deren Beantwortung noch aussteht. Was die Gestaltung des Mittelschiffs angeht, lassen sich grundsätzlich drei Hauptphasen klar unterscheiden. Zur ersten Phase gehört der untere, erste Mosaikboden im Mittelschiff. Ein Bema existierte in dieser Phase noch nicht. Das Mosaik endet im Bereich des späteren Bemas, nach Westen schließt sich der geglättete Fels an. Wie dieser Wechsel in der Fußbodengestaltung zu deuten ist, muss im Moment offenbleiben. In der zweiten Phase wurde das Bema eingebaut. Parallel dazu wurde nun das gesamte Mittelschiff mit neuen Mosaiken ausgelegt worden. Die neuen Grabungen lassen zudem eine deutliche Trennung zwischen der hinteren westlichen und der vorderen östlichen Hälfte des Mittelschiffs erkennen.

In einer dritten Ausbauphase wurde das Bema nochmals deutlich vergrößert. Für die Erweiterung wurden die alten Abschrankungen im Süden, Westen und Norden entfernt.

Mit dieser dritten Phase steht wahrscheinlich die große Zahl von Opus Sectile Funden in Verbindung, die den Boden des neuen Bemas geschmückt haben könnten.

Für 2025 ist geplant, die Grabungen im Tempel und im Archiv abzuschließen. Parallel dazu sollen Suchschnitte klären, ob es möglich ist, in dem Bereich des Südhanges zwischen der Kirche und dem römischen Stadtzentrum Reste von Wohnbebauung der Kaiserzeit und der Spätantike zu untersuchen.

Fundbearbeitung

Wie in jedem Jahr lag ein besonderes Augenmerk auf der vollständigen und professionellen Dokumentation, Restaurierung und Bearbeitung aller Funde (schönes Foto aus der Fundbearbeitung). Dazu waren Expert*innen für Keramik, Glas, Metall und Steinfunde im Einsatz. Ein Schwerpunkt war die wissenschaftliche Bearbeitung der Bauornamentik aus dem kaiserzeitlichen Tempel. Eine neuer Arbeitsschwerpunkt ist zudem die Untersuchung von Tierknochen. Erste osteologische Untersuchungen wurden von Prof.  Abu B. Siddiq von der Universität Mardin durchgeführt. Tierknochen helfen nicht nur, die Ernährung der antiken Bevölkerung zu rekonstruieren, sondern erlauben auch Einblicke in das Klima und die Umweltbedingungen der Antike. Sie geben Aufschluss darüber, wie sich die Menschen an ihre Umwelt anpassten und welche Ressourcen sie nutzten. Zudem liefern Tierknochen in Abfallgruben Hinweise auf die Lebensweise und Müllentsorgung in der Stadt.