In Doliche wurden mittlerweile über 6.000 verbrannte Tonklumpen gefunden, die auf den ersten Blick meist unscheinbar wirken, aber dennoch eine Besonderheit darstellen. Es handelt sich um die Überreste von Urkundenverschlüssen
Seit hellenistischer Zeit wurden Verträge aller Art auf Papyrus und Pergament geschrieben. Die Dokumente wurden anschließend zusammengefaltet und mit einer Schnur umwickelt. Diese wurde mit einem Klumpen aus Ton verschlossen und besiegelt.
Aus der hellenistischen und römischen Antike sind mittlerweile über 25 Archive bekannt, die anhand der gefundenen Urkundenverschlüsse lokalisiert werden konnten.
Die Besonderheit dieser Funde besteht darin, dass sie meist nur überliefert sind, weil die Archive abgebrannt sind. Durch das Feuer wurden die nur luftgetrockneten Verschlüsse haltbar gemacht, ähnlich dem Keramikbrand, nur unbeabsichtigt. Durch das Feuer ging allerdings auch der Kontext verloren: die Dokumente verbrannten und auch die Archive gingen in Flammen auf.
Aktuelle Ergebnisse
Durch das Feuer wurden die Tonklumpen wie Keramik gebrannt und bleiben so der Nachwelt erhalten. Viele der über 6.000 Urkundenverschlüsse aus Doliche sind besiegelt. Die Bandbreite an Bildern zeigt ein nahezu unerschöpfliches ikonographisches Repertoire. Einige der Siegel wurden hundertfach in Ton gedrückt. Dies ist neben der Größe ein entscheidendes Indiz dafür, dass es sich um offizielle Siegel handelt.
Aktuell werden alle Stücke in einer Datenbank erfasst, die bald der Wissenschaft, aber auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Dort sind alle wesentlichen Daten der einzelnen Urkundenverschlüsse und der darauf befindlichen Abdrücke erfasst.
Dokumentiert werden u.a. die Größe, eine Kurzbeschreibung, die Inventarnummer, die Anzahl der Abdrücke, die Literatur, die Maße, die Abdruckform, die Siegelform und der Schriftträger. Anhand der Spuren auf der Rückseite eines Urkundenverschlusses lässt sich zumeist erkennen, ob der Verschluss auf einem Papyrus oder auf Pergament appliziert war.
Alle Siegelabdrücke werden immer von vorne, von hinten und von der Seite fotografiert. Im Falle des Skorpionsiegels ist zu sehen, dass der Schriftträger Papyrus war. Das verraten die Rillen auf der Rückseite, die von den Fasern des Papyrus stammen. Gut zu erkennen sind die auch die Ausbruchränder des Fadens, mit dem das Dokument umwickelt wurde.
Die Größe ist von besonderer Bedeutung, denn die Untersuchung der hellenistischen und römischen Siegelabdrücke der Mittelmeerwelt hat gezeigt, dass die offiziellen Siegel, also solche, die von Amtsträgern verwendet wurden, häufig deutlich größer sind als die sog. Individualsiegel. Als Individualsiegel werden die Siegel bezeichnet, die sich keiner Institution, Stadt oder einem Amtsträger zuordnen lassen. Eindeutig zu erkennen ist ein offizielles Siegel übrigens nur dann, wenn eine Inschrift angegeben ist. In Doliche sind zwei Siegel mit solchen Inschriften versehen: das eine zeigt die Göttin Tyche und das andere den Handschlag (griech. Dexiosis) zwischen der Hauptgottheit Doliches – Iuppiter Dolichenus – und dem römischen Kaiser. In der griechischen Inschrift ist der Name der Stadt im Genitiv genannt.
Andere offizielle Siegel lassen sich über die Anzahl der überlieferten Abdrücke erschließen, denn diese wurden wesentlich häufiger verwendet als die Individualsiegel. Für das Archiv von Doliche ist so davon auszugehen, dass hier mindestens 20 offizielle Siegel verwendet wurden.
Während sich diese Siegel also deutlich aus der großen Masse hervorheben, sind die Individualsiegel schwerer zu klassifizieren. Dadurch, dass die Dokumente verloren sind und das zugehörige Archiv zerstört wurde, haben wir keine Anhaltspunkte dafür, welches Siegel für welche Art von Schriftstücken verwendet wurde. Somit stehen wir vor einer schier unglaublichen Masse an Siegelbildern, die häufig in nur einem Abdruck überliefert sind. Hierbei gilt: es gibt (fast) nichts, was es nicht gibt. So sind uns Darstellungen von Porträts, männlichen und weiblichen Figuren, Heroen, Gefäßen, Masken, Göttinnen und Göttern, Tieren, Mischwesen und vieles mehr überliefert. Die Benutzer*innen der Siegel bleiben hierbei allerdings anonym.
Von der ausführlichen Dokumentation in unserer Datenbank erhoffen wir uns, dass wir das Material zukünftig besser klassifizieren können. Zudem ermöglichen wir durch den Online-Zugriff Kolleg*innen den Zugang zu diesem reichhaltigen ikonographischen Repertoire. Das Material soll zudem in gedruckter Form als Katalog vorgelegt werden, wobei hier das Material aufgrund der Fülle nur kursorisch behandelt werden kann
Unter den Urkundenverschlüssen von Doliche befinden sich übrigens auch solche, die gar keine Abdrücke aufweisen. Scheinbar waren diese Verschlüsse rein funktional und es bedurfte keiner Besiegelung.
Gleiches gilt wohl auch für die kreisrunden Abdrücke, die von der Rückseite der Schreibgeräte stammen. Wer hiermit „siegelte“ bleibt ebenfalls unklar. Allerdings verraten uns diese Verschlüsse mehr über den Versiegelungsprozess als so manches schöne Bild. Anscheinend war der Akt des Siegelns wichtiger als das Siegelbild selbst.
Experte & Autor:
Dr. Torben Schreiber
Fundbearbeitung: Siegelabdrücke
Universität Münster