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Historische Bauforschung

Als Bauforscherin auf Grabung – was macht die archäologische Bauforschung in Doliche?

Seit 2021 bin ich als Bauforscherin im Doliche-Projekt mit dabei und beschäftige mich mit den gebauten Strukturen. Während meines Studiums in Historischer Bauforschung konnte ich zum ersten Mal an der Grabung teilnehmen und in die archäologische Bauforschung schnuppern und bin seitdem nicht mehr davon losgelassen worden. Damals durfte ich die sogenannte Hangkirche dokumentieren, heute bin ich ausschließlich auf dem Feld 414, wo gerade ein monumentaler Werksteinbau ausgegraben wird, unterwegs. Aber wieso müssen die gefundenen Objekte überhaupt nochmal von der Bauforschung untersucht werden, wenn sie schon von der Archäologie dokumentiert wurden?

Autorin und historische Bauforscherin Theresa Pommer

Der hauptsächliche Unterschied liegt neben den unterschiedlich gesetzten Schwerpunkten in den verschiedenen Denkweisen der Disziplinen: Während die Archäologie von oben nach unten gräbt, Befunde definiert und Zusammenhänge aus der Abhängigkeit dieser Schichten erkennt, denkt die Bauforschung dreidimensional. Uns Bauforscher*innen interessieren die Gebäude als Ganzes, nicht nur im Grundriss, sondern auch im Aufriss. Im Fokus steht dabei die Architektur des Bauwerkes, wie das Tragsystem funktionierte und welche Ornamentik verwendet wurde. Die archäologischen Funde miteinzubeziehen und eng mit den Archäolog*innen zusammenzuarbeiten ist natürlich unverzichtbar, da oft nur die archäologischen Funde Aufschlüsse über Zusammenhänge liefern können und nur durch disziplinenübergreifende Überlegungen verlässliche Ergebnisse entstehen.

Um aber Vermutungen über die ursprüngliche Gestalt eines Bauwerkes treffen zu können, müssen erst die gefundenen Überreste dokumentiert werden. Dafür werden verschiedene Methodiken verwendet, abhängig vom Ziel der Dokumentation und den vorhandenen Ressourcen. Neben detaillierten Beschreibungen und Fotografien sind ein wichtiger Aspekt maßstäbliche Zeichnungen, damit man nach der Kampagne, wenn man nicht mehr vor Ort ist und nachmessen kann, alle Zusammenhänge im Bauwerk untersuchen kann. Zuerst wird meist ein 3D-Modell erstellt, entweder mit einem Laserscanner oder durch ein SfM (Structure from motion), wobei Fotos zu einem dreidimensionalen Modell verrechnet werden. Aus diesen dreidimensionalen Daten können zweidimensionale Pläne übertragen werden. Während heute in der Bauforschung meist digitale Zeichnungen angefertigt werden, ist das in Doliche nicht direkt möglich. Bei den heißen Außentemperaturen können digitale Geräte oft nicht mit aufs Feld genommen werden, deshalb zeichne wird analog mit Bleistift auf Papier gezeichnet. Aber wieso arbeitet man nicht einfach mit dem 3D-Modell weiter, wieso erstellt man aufwändig zweidimensionale Unterlagen?

So kann man die Pläne ausdrucken und mitnehmen, verschicken, oder publizieren. Außerdem kann man in den Zeichnungen den Detailgrad der Darstellung selbst bestimmen, während in den 3D-Modellen oft Elemente (z.B. Bäume oder Schatten) sichtbar sind, die irrelevant für das Bauwerk sind. Gleichzeitig können wichtige Informationen wie Werkspuren am Stein nicht sichtbar sein, die man manuell in den Zeichnungen noch nachtragen kann. Manchmal kann man zu unterschiedlichen Tageszeiten mit verschiedenen Sonnenständen andere Details auf den Steinen erkennen, deshalb können diese im 3D-Modell fehlen und sie müssen vor Ort nachgemessen und in den Plan eingetragen werden. Es ist also wichtig, direkt auf der Ausgrabung zu zeichnen, damit keine Information vergessen werden und nicht aus Versehen Dinge gezeichnet werden, die es in der Realität gar nicht gibt. In den entstandenen Plänen können dann final Interpretationen festgehalten werden, beispielsweise welche Materialien verwendet wurden oder welche Bauphasen erkannt werden können.

Zusätzlich müssen Bauteile, die nicht mehr „in situ“, also an ihrem ursprünglichen Verbauungsort, verblieben sind, dokumentiert werden, weil sie am Ende Aufschluss über das ursprüngliche Aussehen eines Bauwerks geben können. In Doliche werden solche Steine am Rand des Feldes, oder, wenn es sich nur noch um kleine Fragmente handelt, im Depot im Haus gelagert. Auch hier werden Fotos gemacht, mit einem Handscanner 3D-Modelle erstellt, oder die Bauteile mit der Hand vermessen und gezeichnet.

Während die Dokumentation natürlich mit fortschreitender Ausgrabung immer weiter vervollständigt wird, ist das aber nicht das finale Ergebnis. Aus allen gesammelten Daten – Zeichnungen von Grundrissen und Schnittansichten, Messungen, aufgenommenen Bauteilen – soll am Ende eine Rekonstruktion des ursprünglichen Bauwerkes entstehen. Weil nur noch wenige Mauern in situ erhalten sind, müssen dafür auch vergleichbare Bauten in der Region recherchiert werden, um entscheiden zu können, wie unser Monumentalbau in der Antike ausgesehen haben könnte. In Form von Skizzen und digitalen Zeichnungen, in denen alle Informationen verbunden werden können, entstehen aktuell erste Vorstellungen über den Grundriss, den Aufriss und Details des Bauwerkes. Es werden wohl einige Fragen offen bleiben bzw. durch begründete Vermutungen beantwortet werden müssen, was die archäologische Bauforschung kompliziert, gleichzeitig aber auch so spannend macht.


Expertin & Autorin:

Theresa Pommer M.A.
Historische Bauforschung
Universität Braunschweig